Damals (und heute?)

Im Rahmen der Gemischten Platte 2025 in Altenburg begab ich mich auf die Suche nach Menschen, welche eine Zeit in ihrem Leben, sei es in der Vergangenheit oder auch noch gegenwärtig, in der „Platte“ verbracht haben bzw. bis heute in der „Platte“ zu Hause sind. Dabei stieß ich auf Menschen, aus meiner eigenen Familie und aus meinem Bekanntenkreis, auf diese das zu trifft. Ich fragte nach alten Fotografien aus dem Leben im Plattenbau, aus vergangenen Zeiten, nach aktuellen Porträtaufnahmen und ob ich diese für meine Arbeiten als Vorlagen nutzen dürfte. Außerdem wollte ich wissen was für Erinnerungen an die Vergangenheit in der „Platte“ noch bestehen oder wie sich das Leben in der „Platte“ vielleicht auch im Laufe der Jahre verändert hatte. Was dabei auffällt ist, dass Parallelen hinsichtlich eines gefühlten Zusammenhalts und einer gewissen Ordnung innerhalb des Lebensraumes „Platte“, vor allem zu Zeiten der DDR bestanden hat. So kannten sich die Menschen untereinander womöglich mehr. Vielleicht mehr als heute. Oder waren es gar die Strukturen die „von oben“ vorgegeben wurden? Oder waren die materiellen Unterschiede noch nicht in dem Maße vorhanden, wie sie es heute sind? Oder gibt es da noch mehr? Ich glaube das Thema hat bei mir ein neues Interesse geweckt und ich werde wohl daran noch etwas weiter arbeiten und darüber nachdenken. Zudem finde ich es sehr spannend mit Menschen in den Austausch zu kommen, zu zuhören, vielleicht verstehen und sich ein Stückchen aufeinander zu bewegen. Auf meine Arbeiten bezogen, so mag ich es die Stimmung der alten Fotos einzufangen und mit meinem Medium Sprühdose zu realisieren und beim Betrachter Erinnerungen zu wecken. Das Publikum dadurch mitzunehmen, auf eine Reise, eine Reise durch Biografien die zu unserer Gesellschaft gehören. Sicher ist es wichtig in der Gegenwart die Momente zu genießen…aber auch die vergangenen Momente gehören zu jedem Individuum dazu.

 

Meine Arbeiten im Rahmen der „Gemischten Platte 2025“ :

 

Almut H. (zog im Alter von 5 Jahren in die Platte)

 

Meine Zeit im Neubau war geprägt von einem Neuanfang. Wir haben die Wohnung neu bezogen, als ich ca. 5 Jahre alt war. Mein Bruder war (ist) genau ein Jahr älter und wir haben das große Zimmer zusammen bekommen (normalerweise war das kleinste der drei Zimmer für die Kinder gedacht). Ich war viel draußen und auf den beiden Spielplätzen hinterm Haus. Die Babys der anderen Familien standen vor den Fenstern im Kinderwagen hinterm Block und ich habe sie oft ausgefahren, obwohl ich superjung war (ca. 8–10 Jahre). Auch vor der Kaufhalle standen die Wagen draußen, ich habe in jeden geschaut.Wir hatten oft „Westbesuch“, was natürlich total auffiel. Es waren meine Highlights jedes Jahr. Meine Zeit in dieser Wohnung war geprägt von intensivem Spiel mit meiner Freundin, mit meinem Bruder oder auch einfach für mich und mit Zeichnen, das habe ich geliebt. Ab meinem elften Lebensjahr haben wir zu fünft und dann zu sechst in der kleinen Dreiraumwohnung gewohnt, da kamen meine beiden kleinen Schwestern noch dazu, was ich ganz toll fand … Aber was das Ende im Neubau letztendlich bedeutete und wir in ein kleines Haus zogen.

Almut H. (moved into the ‘Platte’ at the age of 5)

My time in the new building was marked by a new beginning. We moved into the flat when I was about 5 years old. My brother was (is) exactly one year older than me and we got the big room together (normally the smallest of the three rooms was intended for the children). I spent a lot of time outside and at the two playgrounds behind the house. The other families‘ babies stood in front of the windows in prams behind the block, and I often took them for walks, even though I was very young (around 8–10 years old). The prams were also parked outside the department store, and I looked into each one. We often had ‘visitors from the West’, which of course was very noticeable. These were my highlights every year. My time in this flat was characterised by intense play with my girlfriend, with my brother or simply on my own, and by drawing, which I loved. From the age of eleven, there were five of us, and then six, living in the small three-room flat, as my two little sisters joined us, which I thought was great… But that ultimately meant the end of the new building and we moved into a small house.

 

Johannes H. (zog im Alter von 6 Jahren in die „Platte“)

Als ich 6 Jahre alt war, zogen wir aus einer Leipziger Altbauwohnung im Gründerzeitstil mit Ofenheizung an die Ostsee in einen 200-Einwohner-Ort und dort in eine Neubausiedlung. Wir Kinder der Siedlung kannten uns, gingen in dieselbe Schule und trafen uns nachmittags im Innenhof zum Fußballspielen. Die Mütter unterhielten sich von Balkon zu Balkon. Schräg gegenüber wohnte der Staatsbürgerkundelehrer mit Beobachtungsauftrag … schräge Mischung aus Geborgenheit und Überwachung.

Johannes H. (moved to the ‘Platte’ at the age of 6)

When I was 6 years old, we moved from an old Wilhelminian-style flat with stove heating in Leipzig to a new housing estate in a village of 200 inhabitants on the Baltic Sea. We children in the estate all knew each other, went to the same school and met in the courtyard in the afternoons to play football. Our mothers chatted from balcony to balcony. Diagonally opposite lived the civics teacher, who was tasked with observing us… a strange mixture of security and surveillance.

 

Karl Kunstmann ( 84 Jahre alt, seit 57 Jahren bis heute in der „Platte“)

Also wenn ich an früher denke…ganz ehrlich, da war weniger Radau im Haus und och davor. Heute is da immer een Krach und es poltert und kracht. Und wie oft die hier aus- und einziehen heute, also das hat sich och geändert. Naja, ich bleibe hier, so lange es geht…ich bin ja hier zuhause. Mer gewöhnt sich ja och an so manches… na und meine Kumpels hab ich och viele hier. Aber nune … naja, viele sind schon tot. In meinem Eingang is nur der Jens übrig, der hat mir damals jeelernt im Farbkombinat…das is lange lange her..hach mensch, wenn ich zurückdenke …[Pause]…Aber bei vielen, was da so passiert heute..or näää, also das war früher anders…auch besser, wirklich jetze…. In den letzten halben Jahr 3 Einbrüche in unserm Keller, nüscht is mehr sicher.

Karl Kunstmann (84 years old, lives in the ‘Platte’ since 57 years until today)

When I think back to the old days… to be honest, there was less noise in the building and outside. Today, there’s always noise and rumbling and crashing. And how often people move in and out here today, that’s changed too. Well, I’ll stay here as long as I can… this is my home. You get used to some things… and I have a lot of mates here too. But now… well, many of them are already dead. The only one left in my building is Jens, who used to teach me at the paint factory… that was a long, long time ago… oh man, when I think back… [pause]… But with a lot of what’s happening today… oh no, it used to be different… better, really… In the last six months, there have been three break-ins in our basement, nothing is safe anymore.

 

Ingrid S. (90 Jahre alt, lebt seit 1970 bis heute in der „Platte“)

Die ersten Jahre in dem Neubau waren nicht so schön. Wir hatten alle unten im Haus die Gummistiefel. Vor dem Block war noch alles Baustelle, Wege und Straßen gab es noch nicht oder sie waren noch nicht fertig. Obwohl die Umgebung schon schön war, empfand ich die „neuen“ großen Häuser eher als schrecklich und ungewohnt. Oft sind mir da schon einen Kilometer vorher die Tränen gekommen, als ich in mein „neues“ Zuhause zurückkehrte. Was es früher auf jeden Fall weniger gab, waren der Verkehr und der Krach. An den Wochenenden gab es manchmal Subbotnik. Alle zusammen halfen da vor den Häusern beim Aufräumen und Ordnungmachen. Auch nach Silvester… sind die Väter dann mit ihren Kindern vor die Tür gegangen und haben den Müll von der Knallerei weggeräumt. Alles hatte irgendwie mehr System….

Ingrid S. (90 years old, lives in the ‘Platte’ since 1970 until today)

The first few years in the new building weren’t so nice. We all had rubber boots downstairs in the building. In front of the block, everything was still a construction site; there were no paths or roads, or they weren’t finished yet. Although the surroundings were already beautiful, I found the ‘new’ large houses rather awful and unfamiliar. Often, tears would come to my eyes a kilometre before I returned to my ‘new’ home. What there was definitely less of in the past was traffic and noise. On weekends, there was sometimes a subbotnik. Everyone helped to tidy up and clean in front of the houses. Even after New Year’s Eve… the fathers went outside with their children and cleared away the rubbish from the fireworks. Everything was somehow more organised…

 

Susen H. (verbrachte die ersten 14 Jahre ihres Lebens in der Platte, 1983–1997, das Mädchen ohne Perlenohrring)

Vorm unseren Block die Saale, hinter unserem Block eine stinkende Chemiefaserfabrik, eine Gärtnerei und oft ein weißer Fluss voll mit alter Milch der angrenzenden Molkerei. Und wir Kinder im Block? Wir waren frei! Felder, Hügel, Wiesen, Flussmündung, Sandkasten, Schaukel, Fahrrad fahren lernen vor den Garagen neben dem Block und irgendwann heimlich rauchen im Keller. Erst zu dritt, dann zu viert wuchs ich mit meinem Bruder in einer 3-Raum-Wohnung auf. Wenn der Nachbar Tagesschau sah, hörte ich es. Wenn ich laut Radio hörte, kam er hoch und schrie er hätte selbst eins. Doch das Beste war unbezahlbar: Eine Gemeinschaft die sich unterstützt und auf jeder Etage jemand zum spielen.

Susen H. (spent the first 14 years of her life in the tower block, 1983–1997, the girl without a pearl earring)

In front of our block was the Saale river, behind our block a smelly chemical fibre factory, a nursery and often a white river full of old milk from the neighbouring dairy. And us children in the block? We were free! Fields, hills, meadows, river mouth, sandpit, swings, learning to ride a bike in front of the garages next to the block and, at some point, secretly smoking in the basement. First as a trio, then as a foursome, I grew up with my brother in a three-room flat. When the neighbour watched the news, I could hear it. When I listened to the radio loudly, he came upstairs and shouted that he had one himself. But the best thing was priceless: a community that supported each other and someone to play with on every floor.

 

Rückblick zur Gruppenausstellung „Gemischte Platte 2025“ in Altenburg:

WOW…war das inspirierend, war das lebendig, war das motivierend. Viele Menschen waren da, viel mehr als ich erwartet hätte. Danke. Es schreit nach einer Wiederholung. So viel kreative Energien und Synergien in einem Wohnblock habe ich selten erlebt. Es gab viel Austausch, Anerkennung und konstruktive Kritik, was sich richtig gut anfühlt und neuen Antrieb gibt. Vielen Dank an alle Besucher*innen, Unterstützer*innen, Künstler*innen und die Orga. Mein ganz persönlicher Dank gilt allen Porträtierten, für ihr Vertrauen, den Austausch und die Zustimmung, die meine Arbeit überhaupt erst möglich gemacht haben. Vielen lieben Dank.